Vom geistreichen Nichtstun

Zur Ruhe kommen? Dafür ist in der Informationsgesellschaft kaum Zeit. Im Gegenteil, wir sind permanent online und allzeit erreichbar – und haben zugleich ständig Angst, etwas zu verpassen; wir leiden an Reizüberflutung und dem Gefühl ständiger Überforderung – und gieren gleichwohl nach schnelleren Datenleitungen und leistungsfähigeren Handys; wir fühlen, wie unsere Zeit immer knapper wird, sehnen uns nach Muße – und fürchten zugleich nichts so sehr wie das Nichtstun und die Langeweile.

Dabei wissen Philosophen längst, dass Geist und Seele schöpferische Pausen brauchen. Nun wird diese Weisheit auch von der Wissenschaft entdeckt. Hirnforscher und Psychologen zeigen, wie wichtig Auszeiten und Momente des Nichtstuns sind: Diese fördern nicht nur die Regeneration und stärken das Gedächtnis, sondern sind geradezu die Voraussetzung für Einfallsreichtum und Kreativität, vor allem aber für das seelische Gleichgewicht.

Dass schon der Anblick von Wiesen und Bäumen einen erholsamen Effekt hat, ist mittlerweile sogar wissenschaftlich bewiesen. Von den vielfältigen Eindrücken in der Stadt wird vor allem unser Arbeitsgedächtnis belastet, das die Konzentration und die Willenskraft steuert. Je mehr Reize das Gehirn verarbeiten muss, umso schwerer fällt es, konzentriert und ganz bei sich zu bleiben. In der Natur dagegen, wo die Reizdichte enorm reduziert ist, wird dieser geistige »Kraftspeicher« gründlich aufgefüllt. Natürlich haben die vielfältigen Stimuli des Stadtlebens auch eine inspirierende Wirkung. So lässt sich das städtische Getriebe zwar hervorragend als Nährboden für neue Ideen und Pläne nutzen. Doch um diese in die Praxis umzusetzen (oder sich einfach nur vom Stadtgetriebe zu erholen), brauchen wir oft jene Muße, die uns eine reizarme, ablenkungsfreie Umgebung gewährt.

Hirnforscher haben zudem herausgefunden, dass unser Denkorgan beim ziellosen Nichtstun keinesfalls untätig ist; im Gegenteil, manche Hirnregionen sind beim Tagträumen, Schlafen oder Meditieren sogar stärker aktiv als beim zielgerichteten Denken. Befreit von Input, kann das Gehirn gewissermaßen in sich selbst spazieren gehen, frische Verbindungen zwischen Nervenzellen knüpfen und so neue Zusammenhänge zwischen gespeicherten Fakten herstellen.

Doch man kann es mit dem Grübeln auch übertreiben. Denn das bewusste Denken folgt oft nur den bekannten, ausgetretenen Pfaden. Wer allzu verbissen nach der Lösung sucht, würgt häufig seine Kreativität regelrecht ab – dann wird es Zeit, das Hirn zu lüften. »Lenken Sie sich ab, schlafen Sie drüber. Die vorbewussten, intuitiven Netzwerke in Ihrer Großhirnrinde erledigen den Job für Sie«, rät der Hirnforscher Gerhard Roth.

Wer übrigens wissen will, wann es Zeit für eine Auszeit ist, für den hat Ernst Pöppel eine einfache Faustregel parat: Führen Sie sich abends Ihren Tag vor Augen, und fragen Sie sich, was Sie Kreatives geleistet haben. »Kreativität ist ein wichtiges Merkmal eines ausgeglichenen Menschen«, sagt Pöppel. »Wer nur noch erledigt, abarbeitet, reagiert, braucht definitiv eine Pause.«

Dies ist ein Auszug aus dem Artikel „Vom geistreichen Nichtstun“, erschienen in der Zeitschrift „Die Zeit“, Ausgabe Nr. 49/2010 von Ulrich Schnabel, basierend auf dessen Buch: Ulrich Schnabel: Muße – Vom Glück des Nichtstuns, 978-3-89667-434-0; Blessing, 2010; 288 S., 19,95 €

Copyright Dr. Edgar Gubo

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